Möglichkeiten und Grenzen in den Gesellschaftswissenschaften
Schulischer Fachunterricht hat als originäre Aufgabe die Vermittlung von fachbezogenen Kompetenzen. Insofern ist es – jenseits aller Medienbildungsüberlegungen – erste Aufgabe des Fachlehrers, solchen Fachunterricht unter den veränderten technischen Rahmenbedingungen zu planen und durchzuführen.
Ob und ggfs. wie weitere Aspekte des sehr unspezifizierten Begriffs „Digitalisierung“ auf den Unterricht wirken, liegt in der Regel nicht im Entscheidungsbereich des einzelnen Fachlehrers: Der Einsatz von LMS (Lern-Management-Systems) zur Verwaltung und Distribution von Daten gehören nicht in diesen fachspezifischen Bereich, ebenso wenig die Erstellung und Umsetzung von (schulweiten) Medienkonzepten.
Gehören digitale Medien in den gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht?
Natürlich, und zwar aus zwei Gründen:
- Digitalisierte Medien sind heute etabliertes Mittel in allen Bereichen. Unterricht kann nicht hinter diesen gesellschaftlichen Standard zurückfallen. Schließlich würde heute auch kein Schüler mehr auf einer Schiefertafel schreiben. Voraussetzung dafür sind einerseits funktionierende technische Rahmenbedingungen, andererseits die bewusste Entscheidung des Fachlehrers, ob nicht analoge Unterrichtsformate in einer bestimmten Lernsituation Vorteile bringen, z.B. durch andersartige Sozial- und Kommunikationsformen, die damit verbunden sind.
- Digitale Medien ermöglichen (oft, nicht immer) andersartig gestaltetes Unterrichtsmaterial, das gegenüber analogen Formen Mehrwerte aufweisen kann (vgl. Tab. 1).
Die vorhandenen Zweifel in Teilen vieler Fachschaften am Sinn der Nutzung digitaler Medien hat m.E. nichts desto trotz nachvollziehbare Wurzeln. Das hat in der Regel aber wenig mit fehlenden Kompetenzen der Lehrkräfte zu tun, wie immer wieder medial kolportiert wird, sondern – neben der Verärgerung über technische Mängel an Schulen – oft gute pädagogische und didaktische Gründe. Zum einen ist in den vergangenen Jahren vieles mit den „neuen“ technischen Möglichkeiten gemacht worden, was die Ziele von Fachunterricht nicht unterstützt. Zahlreiche Lehrerfortbildungen zielten (zielen?) darauf, immer wieder neue Apps zu zeigen – oft blieb es aber bei einer technischen Beschreibung von Möglichkeiten der Software und der Vermittlung einer Unterrichtsvorstellung, die schon allein im Handeln am digitalen Gerät einen Nutzen sieht. Solches Verständnis von handlungsorientiertem Unterricht kann nicht überzeugen. Auch Internetseiten finden sich wie Sand am Meer, die in langen Listen solche Software nennen, die für den Unterrichtseinsatz beworben wird oder auch tatsächlich geeignet ist. Nur sehr selten aber wird erläutert und begründet, welche konkreten Unterrichtsszenarien sich damit gestalten ließen und warum dies von Nutzen wäre. Zu werben wäre also für eine Rückbesinnung auf elementare Aspekte von Unterrichtsplanung: Eine didaktische und methodische Analyse ist auch bei digital gestütztem Unterricht unverzichtbar. (Möglicherweise wird sich zeigen, dass als weiteres Element eine technische Analyse der Möglichkeiten von Hard- und Software zu ergänzen wäre und ebenso eine kritische Betrachtung der vorhandenen Digitalkompetenzen auf Lehrer- wie Schülerseite.)
Schlussendlich bleibt die Binsenweisheit, dass gesellschaftswissenschaftlicher Unterricht einen reflektierten Einsatz von digitalen Medien braucht. Es scheint, dass das die Fächer des B-Feldes hier noch eine recht schwierige Position einnehmen. In den MINT-Fächern oder Fremdsprachen gibt es von den Schulbuchverlagen und anderen Anbietern schon seit Jahren ein recht umfangreiches Portfolio an Medien; in den Gesellschaftswissenschaften scheinen die Möglichkeiten weniger klar auf der Hand zu liegen. Das mag auch daran liegen, dass diese Fächer in besonderer Weise mit der inhaltlichen Analyse von Texten und mit Prozessen der Urteilsbildung befasst sind – also Bereiche, in denen z.B. Möglichkeiten interaktiver Rückmeldung sehr anspruchsvoll sind. Hier überzeugende Möglichkeiten zu entdecken dürfte ein längerer Prozess werden, in den Fachlehrer ihre didaktische und methodische Expertise einbringen müssen, aber oft begrenzt sind durch die vorhandenen technischen Möglichkeiten bzw. die eigene Kompetenz zur Realisierung von komplexen Ideen: Kaum ein Fachlehrer wird eine didaktische oder methodische Idee selbst programmieren können. Wir müssen also die vorhandenen Werkzeuge kennen, mit denen jetzt schon digital gestützter Unterricht gestaltet werden kann und wir müssen reflektieren, welche Mehrwerte möglich sind (vgl. Tab. 1).
H5P.org ist für die Erstellung von interaktivem und multimedialem Unterrichtsmaterial eines der interessantesten Instrumente – mit einem recht überschaubaren Einarbeitungsaufwand. Notwendig wird es sein, solche Autorensysteme zu erproben und Wege zu finden, wie die bereits vorhandenen Materialien und Konzepte (die oft auf reine Wissensreproduktion zielen) erweitert werden können auf Anwendungsfelder im Anforderungsbereich II oder III.
Text & Grafik: Guido Rotermann, 02/2020 CC-BY 4.0
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